Ben
November 2019
Der Tag meiner Ankunft in Australien liegt nun schon zwei Monate zurück. Und seitdem ich hier bin, habe ich mehr über Kultur, Einstellungen und Sprache gelernt, als ich im Englischunterricht in Deutschland je lernen würde. Eine Sache, die man schon mal vorweg nehmen kann: Australier sind die Könige im Abkürzen ihrer Sprache.
Bei der Ankunft holte mich meine ganze Gastfamilie am Flughafen in Brisbane ab. Ich verstand mich sofort gut mit ihnen. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass ich sie schon zuvor gesehen hatte. Die nächsten Tage verbrachte ich dann mit Ausflügen, die mich wach halten sollten, um meinen Jetlag schnellstmöglich wegzubekommen. Währenddessen lernte ich auch die Familie näher kennen, mit der ich ein Jahr zusammen leben sollte.
Am ersten Tag in der Schule, der Ferny Grove State High, war alles neu: Uniform, Schüler und Lehrer. Nach einem Rundgang am Anfang und einer ausgiebigen Einführung von ein paar Lehrern ging es auch schon in den Unterricht. Die ersten Wochen waren echt hart, weil meine Englischkenntnisse nicht die besten waren und ich auch noch nicht das Vertrauen in diese hatte. Mein letzter Stand in Englisch war nämlich eine saftige Fünf . Doch schon nach den ersten drei Wochen bemerkte ich Veränderungen, auch wenn es nur kleine waren, wie ein halbwegs fließendes Gespräch mit dem Lehrer oder einem Klassenkameraden in der Pause zu haben.
Eine andere Sache, mit der ich anfangs meine Schwierigkeiten hatte, war das intensive Nutzten des Computers durch die digitalisierte Schule. Doch nach den ersten vier Wochen hatte man sich gut eingelebt, das neue System in seinen Alltag aufgenommen und erste Freundschaften geschlossen. Die Fächer, die ich gewählt hatte, waren auch nicht all zu schwer.
Mein Alltag läuft in etwa so ab, dass ich um sieben Uhr aufstehe, frühstücke, noch den Rest der Hausaufgaben für den heutigen Tag mache und mich um neun dann ins Klassenzimmer setzte oder in die Turnhalle zur wöchentlichen Stufenversammlung. Diese dient dazu, alle auf den neusten Stand zu bringen oder – wie meistens – sich über unser mangelhaftes Verhalten zu beschweren. Die Stunden an sich verlaufen nicht gerade viel anders auf der anderen Seite der Welt, außer dass man meistens auf dem Computer mitschreibt und so gut wie gar keinen Stift oder Papier mehr benötigt. Die Pausen dagegen sind um einiges länger als in Deutschland. Dafür hat man aber nur zwei davon, in denen man meistens über die neusten Trends redet, auf sein Handy starrt und nebenbei noch sein Essen genießt. Auch anders ist, dass jeder Schultag vier Stunden hat und von neun bis fünfzehn Uhr geht. Nach der Schule trifft man sich dann zum Skaten oder fährt mit ein paar Freunden in die nächst gelegene Mall.
Insgesamt habe ich in den zwei Monaten, die ich in dieser neuen Welt bin, viele tolle und neue Erfahrungen für mein Leben gesammelt, aber auch Barrieren überwunden, die mir früher unüberwindbar erschienen.
Sommer
Momentan ist es Anfang Dezember und ich habe die letzten Monate wieder viel in diesem schon sehr vertrauten Land erlebt, gesehen und gefühlt. Nicht zuletzt die Hitze, die in den jetzigen Sommermonaten unerträglich wird. Die bisherige Zeit in Queensland war es aber wert, denn wenn man die Phase des Ankommens und der anfänglichen Unsicherheiten hinter sich gelassen hat, ist das Leben hier ziemlich unbeschwert, wie auch mein schöner neuer Alltag: fast eine schöne neue Welt. Es gab auch kleinere Ausflüge und Events mit meiner Gastfamilie, von denen ich ein bisschen berichten will.
Mein erster Trip ging ins gebirgige Hinterland Australiens. Die fünf Stunden Fahrt zu dem Haus, das meine Gasteltern gemietet hatten, waren schon recht ungewohnt. Wir kamen an vielen kleinen Dörfern und vertrockneten Weiden vorbei, und ich hatte den Eindruck, nirgendwo Wasser zu sehen. Die kleinen Ortschaften bestanden gefühlt aus fünfzehn bis zwanzig Gebäuden, darunter immer ein Pub, ein kleiner Supermarkt und eine Tankstelle. Mehr war zumindest von der Straße aus nicht zu sehen. Soweit das Auge reichte, sah ich hellbraune, fast goldene Weiden, auf denen vereinzelt Rinder standen.
Am nächsten Morgen, in dem Resort angekommen, planten wir, eine Wanderung durch den nahegelegenen Urwald zu machen. Wir liefen ungefähr drei Stunden und sahen beeindruckende Steinwände, die als Wasserfälle ausgeschildert waren, doch wegen des trocknen Klimas immer weniger Wasser führten. Es war sehr imposant, Jahrhunderte alte Baumformationen zu bestaunen oder durch ein Gerüst von Ranken zu wandern, das so stabil war, dass es nicht mal einen Baum brauchte, um sich zu stützen. Nach der Wanderung wurde ein Traum wahr. Ich hatte zwar schon Kängurus gesehen, wie sie über die Straßen sprangen, jedoch nicht aus der Nähe. Und dass ich sie einmal streicheln würde, hätte ich erst recht nicht gedacht. Gute zwei Stunden später hatte ich bereits Papageien auf meiner Schulter sitzen – überwältigend. Die nächsten Tage verbrachten wir damit, weitere Wanderungen zu unternehmen und unseren Handyspeicher mit Fotos von Tieren, Bäumen und wundervollen Ausblicken zu füllen.
Zwischen den Ferien hatte ich wieder meinen Schulalltag, der mir gar nicht mehr so neu vorkam. Ich traf mich mit Freunden an den Wochenenden, skatete nach der Schule und genoss meine Zeit in Brisbane. Irgendwann fiel mir ein, dass es auch noch einen anderen Alltag und Freunde gibt. Eigentlich hatte ich mich immer regelmäßig gemeldet und erkundigt. Trotzdem hatte ich mich drei Wochen nicht bei ihnen gemeldet. Als ich nach dieser Eingebung ein paar von ihnen anschrieb, ging es ihnen genauso, aber wir versprachen uns, in Kontakt zu bleiben. Also ein Tipp: wenn ihr euch entscheidet, für ein Semester oder ein Jahr nach Australien zu gehen, kostet es aus und versucht, euch nicht zu teilen zwischen den zwei Welten. Seid da, wo ihr Neues erleben, erfahren oder lernen könnt.
Februar 2020
Der letzte Bericht ist nicht mal zwei Monate alt, und wieder sitze ich auf der Veranda, schaue in den Park und weiß nicht so recht, von welchem Erlebnis ich berichten soll. Ehrlich gesagt bin ich auch ziemlich desolat von den letzten Tagen. Die Kookaburras, die vor meinem Zimmerfenster in den Bäumen nisten, hatten mich um halb vier morgens aus meinem Schlaf geschrien. Diese Vögel sind wirklich das nervigste, was ich je kennengelernt habe. Da ist selbst meine erste Bekanntschaft mit einer Huntsman Spinne besser verlaufen, die ich unter einem Eimer bei der Gartenarbeit fand.
Es gab aber noch bessere Highlights in diesen Monaten, nämlich mein erstes Weihnachten im Hochsommer, ein Festival und ein Silvester ohne Feuerwerk. Zuerst Weihnachten: Es war komisch, keine wirkliche Vorweihnachtszeit zu haben wie in Deutschland mit einem Adventskranz und einem Kalender, der langsam die Vorfreude auf das Fest steigert. Stattdessen realisierte ich erst eine Woche vorher, Geschenke in der Stadt zu besorgen, wobei Brisbane sich alle Mühe gab, den perfekten Weinachtstraum in den Schaufenstern der Einkaufsstraßen widerzuspiegeln. Am Heiligabend packte ich dann die Geschenke ein und wunderte mich noch, warum die australischen Schiebefenster oft ein zusätzliches Aluminiumgitter vor den Mückennetzen haben. Ich würde es im Laufe der Nacht erfahren. Doch zunächst schmückten wir den teuersten und kleinsten Weihnachtsbaum, den ich je gesehen habe. Er kostete satte 120 australische Dollar und besaß eine stattliche Höhe von vierzig Zentimetern. Dieses Land scheint echt nicht geeignet zu sein für diese Art von Baum, dafür aber für große Barbecues, wie das, was wir an diesem Abend hatten. Danach fiel ich satt in mein Bett. Mitten in der Nacht wurde ich dann von einem Opossum geweckt, das tatsächlich versuchte, von dem Gitter aus auf das Dach zu klettern. Trotzdem: Egal wie hässlich diese Gitter sein mögen, es ist besser von einem Geräusch außerhalb deines Zimmer geweckt zu werden als innerhalb.
Nach Weihnachten fuhren wir alle auf ein Festival namens Woodford. Wir blieben dort sogar eine Nacht und lauschten in unseren Zelten noch bis spät den Klängen der großen Bühnen. Anderthalb Wochen verstrichen und Silvester rückte näher. Meine Gastfamilie verbrachte es bei alten Freunden. Ich kannte sie noch nicht, aber im Laufe des Abends lernte man sich durch die großzügige australische Gastfreundschaft besser kennen. Um Mitternacht wurden wir leider nicht mit einem Feuerwerk belohnt, dafür aber mit dem schönsten und klarsten Sternenhimmel. Auf der Rückfahrt am nächsten Tag stoppten wir an einem riesigen See, der nur knietief war. Eine halbe Stunde später stieß auch die befreundete Familie dazu, mit der sich mein Gastvater nochmals treffen wollte. Brian, der Sohn, brachte sogar ein Board zum Windsurfen mit, und ich verbrachte den Rest des Tages damit, seine Tipps zu befolgen, um mich auf dem Board zu halten. Ansonsten gab es in der Zeit kurz vor den Sommerferien bis einschließlich zwei Wochen danach keine großen Ereignisse mehr bis auf den sogenannten Semiformal. Das ist die Veranstaltung, bei der die gesamte Klasse den Abschluss ihres Schuljahres in einem Club feiert. Jetzt wo ich auf diese Zeit zurückblicke, ist es fast schade, dass ich im Juli schon gehen muss.
April 2020
Meine letzten Monate in Australien waren mit Abstand die besten der gesamten Reise. Ich erlebte mein erstes australisches Weihnachten bei 30 Grad im Schatten und das erste Mal Silvester ohne irgendwelche bunt explodierenden Raketen am Himmel. Außerdem schrieb ich mein erstes B im Fach Englisch, was in Deutschland eine zwei wäre. Dieser Erfolg machte mir bewusst, wie viel sich in diesen acht Monaten geändert hat. Ich konnte mich nun fließend mit Leuten in einer anderen Sprache verständigen. Ich merkte aber auch, dass die Erfahrung eines Auslandsjahrs mir nicht nur die Angst vor Neuem genommen hatte, sondern diese in Abenteuerlust verwandelt hatte.
Die letzten Monate, die ich noch in Australien war, bevor ich wegen des Corona Virus zurück nach Deutschland fliegen musste, reiste ich nach Sydney, ging Surfen und entdeckte den schönsten Strand, den ich bis dahin gesehen hatte. Sydney war beeindruckend und einzigartig. Dagegen ist Brisbane, die Stadt wo ich lebte, so modern, dass fast kein Kaugummi mehr auf den Gehwegen oder ein Gebäude älter als vierzig Jahre zu sehen ist. Sydney strotzt nur so von australischer Geschichte mit seiner Harbour Bridge, dem alten Hafenviertel mit seinen engen Gassen und seiner Oper aus den Fünfzigern. Für das Wochenende, das ich dort war, probierte ich noch so viele Sehenswürdigkeiten wie möglich zu besuchen. Doch wegen der schon beginnenden Maßnahmen gegen Covid-19 waren bspw. Führungen durch die Oper schon gecancelt worden. Dennoch war es eine der lohnenswertesten Reisen, die ich in diesem Land gemacht habe.
Ein paar Wochen zuvor schaffte ich es sogar noch Surfen zu gehen. Meine Gastfamilie und eine befreundete Familie mieteten einen etwas größeren Bungalow für drei Tage. Dieser war in der Nähe von Bundaberg nahe am Strand gelegen. Gleich am ersten Tag, obwohl es regnete und ein starker Wind wehte, machte ich mich auf zum Strand mit Antonia, die auch aus Deutschland kam, um in Australien als Backpackerin zu reisen. Die ersten Wochen ihrer Zeit verbrachte sie bei der befreundeten Familie. Also stürzten wir uns in die großen Wellen, die an diesem Tag mit voller Wucht auf Queenslands Küsten trafen. Es war gigantisch. Ich hatte noch nie so gute Wellen gesurft. Die letzten zwei Tage waren dagegen eher ernüchternd. Das Wetter schlug um, und die Wellen wurden zunehmend schwächer. Trotzdem hatten Antonia und ich eine gute Zeit, hielten Kontakt und wollen uns auf jeden Fall in Deutschland treffen, wenn sie ihre Reise beendet hat. Solche Bekanntschaften gab es dort viele. Man verstand sich oft so gut, dass man versprach, nochmals in dieses Land zu reisen oder sich nochmals zu treffen, bevor man sich auf der andren Welthalbkugel verliert. Durch die sozialen Medien und den Austausch von Nummern habe ich nicht nur die Möglichkeit, in Kontakt mit meinen Freunden zu bleiben, sondern auch eine kleine Sicherheit, dass man sich bald wiedersieht. Doch wegen Covid-19 werden die Versprechen und Wiedersehen wohl noch ein bisschen warten müssen.